Qualifizierte elektronische Signatur (QES) im Nachlass: Chancen und Grenzen

4. September 2025
Insights
Die Digitalisierung verändert auch das Nachlassmanagement grundlegend. Während früher ausschließlich handschriftliche Unterschriften und Papierdokumente den Rechtsverkehr prägten, eröffnet die qualifizierte elektronische Signatur (QES) neue Möglichkeiten für Banken, Notare und Erbende. Diese technologische Innovation bringt sowohl erhebliche Chancen als auch klare rechtliche Grenzen mit sich.
Was ist die qualifizierte elektronische Signatur (QES)?
Die qualifizierte elektronische Signatur ist nach der eIDAS-Verordnung (Verordnung über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste) die höchste Form der elektronischen Signatur. Sie basiert auf einem qualifizierten Zertifikat, das von einer akkreditierten Zertifizierungsstelle ausgestellt wird, und gewährleistet die eindeutige Identifikation des Unterzeichnenden sowie die Unverfälschbarkeit des Dokuments.
Unterschiede der Signaturformen:
- Einfache elektronische Signatur: Grundlegende Form ohne besondere technische Anforderungen
- Fortgeschrittene elektronische Signatur: Höhere Sicherheit durch kryptografische Verfahren
- Qualifizierte elektronische Signatur: Höchste Sicherheitsstufe mit rechtlicher Gleichstellung zur handschriftlichen Unterschrift
Gemäß Artikel 25 Absatz 2 der eIDAS-Verordnung besitzt eine qualifizierte elektronische Signatur die gleiche Rechtswirkung wie eine handschriftliche Unterschrift – jedoch nur, sofern keine gesetzlich definierten Ausnahmen vorliegen. Solche Ausnahmen umfassen beispielsweise handschriftliche Testamente, notarielle Beurkundungen wie den Verkauf eines Grundstücks oder die Kündigung von Arbeitsverhältnissen.
Um eine qualifizierte elektronische Signatur (QES) erstellen zu können, ist gesetzlich eine eindeutige Identitätsprüfung erforderlich. Dieser Schritt hebt die QES deutlich von einfachen oder fortgeschrittenen elektronischen Signaturen ab. Die Identitätsprüfung wird anhand von Verfahren durchgeführt, die von der eIDAS-Verordnung anerkannt sind und von qualifizierten Vertrauensdiensteanbietern (Trust Service Providers, TSP) bereitgestellt werden.
Zu den gängigen Identifikationsverfahren zählen:
- Filial-Identifikation: Eine persönliche Prüfung der Ausweisdaten, beispielsweise in Banken oder Postfilialen.
- Video-Ident: Die Identitätsüberprüfung erfolgt per sicherem Videoanruf, bei dem der Ausweis vor der Kamera vorgezeigt wird.
- eID-Verfahren: Der elektronische Personalausweis wird mithilfe eines Kartenlesers oder einer Smartphone-App verwendet – ein besonders sicheres und vollständig digitales Verfahren.
- Bank-Ident / AutoIdent: Die Identifizierung erfolgt durch Bankdaten oder automatisierte KI-gestützte Verfahren, die den Aufwand für Nutzer minimieren.
Nach erfolgreicher Identifikation stellt der Vertrauensdiensteanbieter ein qualifiziertes Zertifikat aus. Dieses ordnet die Identität des Unterzeichnenden eindeutig zu und schützt sie technisch vor Manipulation. Das Signieren erfolgt anschließend mit einem digitalen Schlüssel – beispielsweise über eine App, eine Signaturkarte oder eine Online-Plattform – und garantiert sowohl die Authentizität als auch die Integrität des Dokuments.
Dieser Prozess spielt insbesondere für Banken eine zentrale Rolle: Gemäß dem Geldwäschegesetz sind sie verpflichtet, die Identität ihrer Kunden zweifelsfrei festzustellen. Daher setzen Kreditinstitute und Versicherungen bei der Ausstellung von QES konsequent auf zugelassene Verfahren und qualifizierte Vertrauensdienste.
Relevanz im Nachlass- und Erbrecht
Einsatzbereiche der QES im Nachlass
Im Nachlass- und Erbrecht eröffnet die QES verschiedene Anwendungsmöglichkeiten:
Vollmachten und Vorsorgedokumente: Bereits zu Lebzeiten können Vollmachten, Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten mit QES erstellt werden, wodurch eine rechtssichere digitale Vorlage entsteht.
Bankprozesse: Vermögensaufteilung, Auszahlungsaufträge, Kontoschließungen, Übertragungen sowie Kontoeröffnungen für Erbengemeinschaften und die Freigabe von Nachlassvermögen lassen sich bequem und vollständig digital abwickeln.
Verträge im Nachlass: Verkaufs- oder Übertragungsverträge zwischen Erben lassen sich rechtssicher digital abschließen.
Praktische Grenzen der QES: Banken und das Erfordernis physischer Vollmachten
In der Praxis zeigt sich, dass Banken häufig weiterhin auf die Vorlage originaler, physischer Vollmachten bestehen – selbst wenn eine rechtssichere QES-Vollmacht vorliegt. Dieser Wunsch nach Papierdokumenten resultiert oftmals aus etablierten internen Prozessen, Unsicherheiten bezüglich der technischen Echtheitsprüfung oder dem Bedürfnis nach zusätzlicher Absicherung. Für Erben und Bevollmächtigte bedeutet dies, dass trotz digitaler Möglichkeiten viele Bankangelegenheiten weiterhin Verzögerungen erfahren, weil digitale Vollmachten nur eingeschränkt akzeptiert werden. Dadurch wird das Potenzial der QES für eine vollständig digitale Nachlassabwicklung im Bankensektor erheblich eingeschränkt.
Das Testament bleibt handschriftlich
Auch beim Testament gibt es klare rechtliche Vorgaben: Ein privatschriftliches Testament muss nach § 2247 BGB eigenhändig geschrieben und unterschrieben werden. Digitale Lösungen oder QES können die Schriftform hier nicht ersetzen, da der Gesetzgeber besonderen Wert auf den Schutz der Ernsthaftigkeit und persönlichen Willensbildung legt.
Auch notarielle Testamente und Erbverträge können derzeit nicht vollständig digitalisiert werden, da das Beurkundungsgesetz die körperliche Anwesenheit der Beteiligten vorschreibt.
Praktische Chancen und Herausforderungen
Vorteile der QES im Nachlassmanagement
Rechtssicherheit: Die QES bietet die gleiche rechtliche Verbindlichkeit wie handschriftliche Unterschriften und schafft damit verlässliche Grundlagen für digitale Nachlassprozesse.
Beschleunigte Prozesse: Digitale Signaturverfahren reduzieren Bearbeitungszeiten von Wochen auf wenige Tage. Dokumente müssen nicht mehr postalisch versendet werden.
Papierlose Abwicklung: Vollständig digitale Dokumentenverwaltung erleichtert die Organisation und Archivierung von Nachlassprozessen.
Ortsunabhängigkeit: Erben können unabhängig von ihrem Aufenthaltsort rechtsgültige Dokumente unterzeichnen.
Herausforderungen in der Praxis
Akzeptanz bei Institutionen: Nicht alle Banken, Versicherer und Behörden akzeptieren QES-Dokumente gleichermaßen. Eine einheitliche Implementierung fehlt noch.
Technische Hürden für Erbende: Besonders ältere Erbende haben oft Schwierigkeiten mit der technischen Umsetzung der QES, was zusätzliche Unterstützung erforderlich macht.
Kosten: Die Erstellung qualifizierter Zertifikate verursacht Kosten, die je nach Anbieter und Nutzungsumfang variieren können.
Beweiskraft vor Gericht: Obwohl rechtlich gleichgestellt, bestehen in der Rechtsprechung teilweise noch Vorbehalte gegenüber rein digitalen Dokumenten.
Die QES als Baustein für modernes Nachlassmanagement
Die qualifizierte elektronische Signatur stellt einen wichtigen Baustein für die Digitalisierung des Nachlassmanagements dar. Trotz bestehender Grenzen – insbesondere bei Testamenten – überwiegen die Chancen deutlich. Banken und Finanzdienstleister, die QES-basierte Lösungen frühzeitig in ihre Nachlassprozesse integrieren, schaffen Vertrauen bei Kunden und erzielen erhebliche Effizienzgewinne.
Die qualifizierte elektronische Signatur (QES) eröffnet Erben die Möglichkeit, Nachlassprozesse rechtssicher und vollständig digital abzuwickeln. Statt zeitaufwendiger Papierverfahren können Vollmachten, Bankaufträge und Verträge nun schnell, effizient und weitgehend fehlerfrei online unterzeichnet werden. Mit der Einführung der EU Digital Identity Wallet wird dieser innovative Ansatz künftig noch weiter gestärkt.
Typische Anwendungsbereiche:
- Kontoeröffnung und -auflösung: Digitale Einrichtung von Nachlasskonten oder rechtssichere Schließung bestehender Konten, einschließlich der Abwicklung von Ausschüttungen.
- Depots und Investments: Elektronisch signierte Anweisungen zur Umschichtung, Auszahlung oder Auflösung von Anlageportfolios.
- Vollmachten: Digitale Erstellung und gegenseitige Bevollmächtigung innerhalb der Erbengemeinschaft, rechtlich bindend und gültig „über den Tod hinaus“.
- Vermögensverteilung: Effiziente Online-Abwicklung von Ausschüttungen sowie Vereinbarungen zwischen Erben.
- Digitale Zugänge: Rechtskonforme Verwaltung oder Löschung von Cloud-, Zahlungs- und Social-Media-Konten des Verstorbenen.
Die QES erleichtert nicht nur den Nachlassprozess, sondern setzt zugleich neue Maßstäbe in puncto Effizienz und Rechtssicherheit in der digitalen Erbschaftsverwaltung.
Mit NachlassDialog können Erben den GWG-Legitimationsprozess direkt auf der Plattform abschließen und alle erforderlichen Dokumente per QES unterzeichnen. Persönliche Besuche oder zusätzliche Legitimationsschritte entfallen vollständig – das vereinfacht Abläufe deutlich und verkürzt die Bearbeitungszeit spürbar.
Ausblick: eIDAS 2.0 und digitale Identität
Die EU Digital Identity Wallet
Mit der eIDAS-Verordnung 2.0 wird bis 2027 eine europäische digitale Identitätsbrieftasche (EU Digital Identity Wallet) eingeführt. Diese ermöglicht es Bürgern, ihre Identität und weitere Nachweise wie Führerscheine oder Bildungsabschlüsse sicher digital zu verwalten und zu verwenden.
Standardisierte Nachlassprozesse
Die Weiterentwicklung der digitalen Infrastruktur schafft Voraussetzungen für:
- Einheitliche Standards bei der Legitimation von Erben
- Grenzüberschreitende Anerkennung digitaler Nachweise
- Automatisierte Übertragung von Nachweisen zwischen Institutionen
- Vereinfachte Abwicklung bei internationalen Nachlässen
Es bleibt entscheidend, diese Entwicklungen im Blick zu behalten und die eigenen Prozesse frühzeitig auf die neuen Anforderungen und Chancen der eIDAS 2.0-Ära auszurichten.