Warum die digitale Nachlassabwicklung ein Neuanfang für Erbende und Banken sein muss

Verfasst von:
NachlassDialog
Veröffentlicht am:
6. Juni 2025
Kategorien:
Interview
„Ich weiß nicht, was ich tun soll“ – Warum die digitale Nachlassabwicklung ein Neuanfang für Erbende und Banken sein muss
Ein Interview mit Melanie Loewe über Hürden, Hoffnungen und konkrete Lösungsansätze

Wenn ein geliebter Mensch stirbt, stehen Angehörige plötzlich vor einem Berg an Aufgaben – emotional, organisatorisch und rechtlich. Besonders herausfordernd ist die Abwicklung des Nachlasses. Was viele nicht wissen: Es geht dabei längst nicht mehr nur um Immobilien und Bankkonten. Auch Beteiligungen, digitale Vermögenswerte oder verstreute Konten bei verschiedenen Banken gehören heute zur Realität. Und mittendrin: Erben, die oft zum ersten Mal mit dieser komplexen Materie konfrontiert sind – und sich allein gelassen fühlen.

Melanie Loewe weiß, wovon sie spricht. Seit 17 Jahren begleitet sie als Nachlassabwicklerin Erben durch diesen Prozess – mehr als 550 Nachlässe und rund 1.000 Betroffene hat sie unterstützt. In einem Gespräch mit NachlassDialog gibt sie Einblicke in die größten Herausforderungen – und zeigt, wie es besser gehen könnte.

Orientierungslosigkeit in einer Ausnahmesituation

„Die meisten Erben wissen zu Beginn gar nicht, was genau zu tun ist“, erklärt Loewe. Viele fragen sich: Wo hatte der Verstorbene Konten? Was muss ich der Bank vorlegen? Wer ist überhaupt zuständig? Die Legitimation – also der Nachweis, dass man rechtlich auf die Konten zugreifen darf – ist der erste Stolperstein. Besonders problematisch: Es gibt kaum standardisierte Verfahren.

Je nach Bank gelten unterschiedliche Anforderungen. Mal reicht ein notarielles Testament, mal wird auf einem Erbschein bestanden – obwohl dieser nicht immer notwendig ist. Und: Die Unterlagen müssen oft im Original vorliegen. Das bedeutet: gerichtliche Ausfertigungen, beglaubigte Ausweiskopien, Vollmachten – alles per Post. Und wehe, es geht etwas verloren. „Ich gebe Originaldokumente grundsätzlich nicht mehr aus der Hand. Es ist mir zu oft passiert, dass sie nicht zurückkamen oder einfach verschwanden.“

Ein Prozess, der zermürbt – nicht nur organisatorisch

Was dabei oft übersehen wird: Erben befinden sich nicht nur in einer rechtlich neuen Situation – sie trauern. Die psychische Belastung ist enorm. Wenn dann auf E-Mails nur automatisierte Antworten kommen oder wochenlang gar keine Rückmeldung erfolgt, führt das zu einer tiefen Frustration.

„Viele Erben sagen mir: Ich fühle mich überhaupt nicht ernst genommen.“ Und das ist mehr als ein Bauchgefühl – es zeigt, wie groß die Lücke zwischen dem emotionalen Zustand der Betroffenen und der bürokratischen Realität ist. Kommunikation auf Augenhöhe? Fehlanzeige.

Dabei wäre genau das der Moment, in dem Banken Vertrauen schaffen könnten. Stattdessen verlieren sie potenzielle neue Kunden – gerade die junge Generation, die weder Papierprozesse noch intransparente Abläufe nachvollziehen kann.

Die Erbengemeinschaft als Hürde

Hinzu kommt: In vielen Fällen handelt es sich um Erbengemeinschaften. Das heißt, mehrere Personen müssen gemeinsam Entscheidungen treffen und unterzeichnen – für jede Überweisung, jede Kontoauflösung, jede Auszahlung. Und auch hier: alles in Papierform. Keine digitalen Signaturen, keine Online-Zugänge. „Für eine einzige Überweisung kann es so zwei bis drei Wochen dauern“, sagt Loewe. „Das ist für die meisten unverständlich – gerade, wenn sie selbst digital leben.“

Was Erben wirklich brauchen

Aus der täglichen Arbeit mit Erben weiß Loewe genau, was diese sich wünschen:

  • Transparenz: Ein klarer Überblick, welche Schritte notwendig sind – und wann sie erfüllt sind.
  • Verlässliche Kommunikation: Ansprechpartner, die erreichbar sind und konkrete Antworten geben.
  • Digitale Unterstützung: Sichere Upload-Portale, Online-Zugänge, digitale Unterschriften – keine Faxgeräte oder Einschreiben mehr.
  • Respektvolle Begleitung: Empathie für die emotionale Situation und Rücksicht auf fehlendes Fachwissen.

„Ich gebe meinen Auftraggebern heute schon einen Ablaufplan mit Timeline. Das gibt Sicherheit. Warum können Banken das nicht auch?“, fragt Loewe. Die technische Möglichkeit sei längst da. Was fehle, sei oft der Wille zur Veränderung.

Eine Chance für Banken – wenn sie sie ergreifen

Für Banken liegt hier eine enorme Chance. Wer in dieser sensiblen Lebensphase gute Erfahrungen ermöglicht, schafft Bindung – emotional wie geschäftlich. Wer jedoch die Erben mit Formularen alleinlässt, riskiert nicht nur Frustration, sondern auch den dauerhaften Verlust eines Kunden.

„Nach dem Tod eines Menschen entscheiden sich Erben oft für neue Wege – auch bei der Wahl der Bank“, so Loewe. Wer in der Lage ist, schnell, klar und menschlich zu handeln, hat in dieser Ausnahmesituation die Möglichkeit, echten Mehrwert zu bieten.

Fazit: Der Nachlassprozess muss neu gedacht werden

Die Nachlassabwicklung ist kein Nebenschauplatz. Sie ist ein zentrales Erlebnis im Leben vieler Menschen – und häufig der erste bewusste Kontakt zur Bank eines Verstorbenen. Wenn dieser Kontakt negativ verläuft, bleibt das Hängen.

Melanie Loewe bringt es auf den Punkt:
„Wenn Erben sich verstanden fühlen, bleiben sie eher bei der Bank. Wenn nicht, sind sie schnell weg.“

Die gute Nachricht: Es muss nicht so bleiben. Wer digitale Prozesse schafft, Kommunikation verbessert und Erben als das sieht, was sie sind – Menschen in einer schwierigen Situation – der wird langfristig gewinnen.